Emanzipation erFAHRen

Oct 9, 2023

Louise Roussel: Freiheit im Fahrtwind. Ein Fahrradguide für Frauen
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Ein Fahrradguide extra für Frauen? Ist das wirklich notwendig? So stolz wir Frauen der Gegenwart von Emanzipation und Gleichberechtigung sprechen, so ernüchternd ist es, immer wieder mit der Lebensrealität konfrontiert zu werden, die gerade im Sport de facto nicht-gleichberechtigt ist. Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen nutzte erst kürzlich die öffentliche Bühne der Europameisterschaft in England, um eine Debatte um Equal Pay im Profisport voranzutreiben. Und dann – endlich, endlich! – mal wieder eine Frankreichrundfahrt für Frauen, nach ganzen 13 Jahren, nun unter dem Titel Tour de France Femmes. Warum auch nicht? Wir fahren mit dem Rad in die Schule, mit dem Rad in die Arbeit, zum Einkaufen, bringen Kinder damit in den Kindergarten, radeln Flüsse entlang, radeln Berge hinauf, radeln durch Wald und Wiese, radeln, weil es Freude macht. Warum also nicht? Im Sattel zu sitzen ist doch keine Frage des Geschlechts. Und dennoch trauen sich Roussel zufolge noch viel zu wenig Frauen, einfach loszuradeln – gerade auch zu Mehrtagestouren. Roussels „Fahrradguide für Frauen“, Freiheit im Fahrtwind, soll darum die Mädels der Welt dazu animieren, sich fahrradtechnisch mehr zuzutrauen.

Hierfür erzählt Roussel einerseits ihre eigene Geschichte… wie sie mit fünfeinhalb Jahren auf dem Hof ihrer Eltern Runden mit dem Fahrrad dreht, wie sie mit 23 Jahren mit ihrem Bruder die erste größere Radtour unternimmt und wie sie mit 29 am Tuscany Trail teilnimmt. Sie erzählt von ihrer Radbegeisterung, die sich auch beruflich äußert, da sie für Fahrradhersteller arbeitet und u.a. an einer Reihe von Fahrradprodukten für Frauen mitarbeitet. Und sie erzählt von Projekten, die sie – um Fahrradfahren für Frauen zu promoten – organisiert hat, bspw. täglich kurze Fahrradtouren zur Mittagszeit.

Außerdem stellt Roussel 18 weitere Frauen vor, die das Radfahren für sich entdeckt haben und schon auf den unterschiedlichsten Touren unterwegs waren. Da ist z.B. Jeanne, Fotografin, Grafikerin und Mama, die u.a. an der French Divide, einer Langstreckentour quer durch Frankreich, teilgenommen hat; oder Sophie, die zwei Jahre lang zusammen mit ihrem Freund durch Südamerika, Neuseeland, Nepal, Kirgistan und Tadschikistan radelte. Die Botschaft ist dabei ganz klar: Alles Frauen, die wie jede:r mal von Null angefangen haben und dann irgendwie ihre Leidenschaft fürs Radfahren entdeckt haben… was die können, kannst du auch.

Inspirieren lassen und nachmachen

Um bereits ein paar Anreize zu geben, stellt der Ratgeber elf Fernradwege vor. Da die meisten davon in und um Deutschland liegen, wurden diese wahrscheinlich nachträglich in der deutschen Ausgabe hinzugefügt. Zwar sind die Radwege illustrativ schön dargestellt, doch sind sie – wenn überhaupt – nur steckbriefartig beschrieben, was gut und gerne ein wenig ausführlicher hätte sein können.

Sehr informativ sind hingegen die zahlreichen Seiten, die alle möglichen Fragen zum Fahrradfahren aufgreifen und beantworten und dabei diverses Knowhow vermitteln. Dies betrifft u.a. die Ausrüstung, also technische Details, die Planung von Radtouren oder das Training. Dabei kommen selbstverständlich auch die Frauenthemen nicht zu kurz, etwa „Radfahren während der Periode“ oder „Training in anderen Umständen“.

Inhaltlich wow, strukturell mau

Das große Manko des Ratgebers ist die strukturelle Aufteilung, denn: die einzelnen Texte und Bereiche sind, so fühlt es sich zumindest an, wild durcheinander gewürfelt. Zwar ist ein roter Faden erkennbar – von den Anfängen bis zum Profiradeln – doch durch die Abwechslung von Roussels Geschichten, der Vorstellung der Radlerinnen, den Fahrradwegen und der Infoseiten, die überdies ineinander verflochten sind, fehlt schlicht und einfach der Überblick. Da hilft auch das Inhaltsverzeichnis nur bedingt weit. Im Grunde ist dieser Mix eine schöne Idee, da es den Ratgeber wesentlich interessanter macht, als die einzelnen Teile getrennt voneinander zu lesen. Bei der Durchmischung hätte nur einfach darauf geachtet werden sollen, dass jeder Text en bloc gelesen werden kann und nicht die Story in der Story steht. Als Nachschlagewerk kann der Ratgeber so nur kaum punkten. Wer eine Lektüre in den Händen halten möchte, die frau von vorne bis hinten lesen und sich dabei überraschen lassen möchte, macht Luftsprünge.

Freiheit im Fahrtwind macht seinem Untertitel alle Ehre. Der „Fahrradguide für Frauen“ strotzt nur so vor weiblicher Energie, die in Tatendrang umgesetzt werden will. Und auch wenn einem die Struktur so manches Schleudertrauma beschert, lohnt sich ein ausführlicher Blick hinein. Frau wird staunen, wie viele Frauenradfahrorganisationen es bereits gibt und wie selbstbewusst die Radfahr-Community daherkommt. Roussel verdeutlicht immer wieder, dass mit dem Radfahren auch buchstäblich Emanzipation erFAHRen wird. Darum kann das Motto dieser Ratgeber-Wundertüte nur heißen: Nur Mut, Ladies, und vor allem viel viel Freude dabei. Ach ja, letzte Frage: Was steht dann eigentlich in dem Fahrradguide für Männer drin?

Louise Roussel: Freiheit im Fahrtwind. Ein Fahrradguide für Frauen * Aus dem Französischen von Nina Goldt und Annika Klapper * Knesebeck 2022 * 208 Seiten * 22 Euro

Diese Rezension wurde am 31. August 2022 auf dem Blog des Mondo Kollektivs veröffentlicht.