Firn oder Eis? …was wir beim Bergwandern beachten sollten

Oct 7, 2023

Sicher am Berg: Berwandern
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Sommerzeit ist Wanderzeit. Wenn die Sonne scheint und die Wiesen grünen, gibt es doch fast nichts Schöneres als raus in die Natur zu gehen und Gipfel zu erklimmen oder einfach durch die alpine Welt zu wandern. Doch so manche*r unterschätzt dabei die Dimension „Natur“ – so ruhig und friedlich die Berge über der Landschaft thronen, so sehr können sie mitunter zum Hindernis werden. Gleichzeitig ist es nicht nur das Um-uns-Herum, das bei einer Bergtour geplant, beobachtet und eingeschätzt werden muss, sondern auch wir selbst. Wie fit fühle ich mich heute? Ist meine Ausrüstung adäquat? Und habe ich genügend Proviant dabei? Kurz um: Bevor es in die Berge geht, gibt es einiges zu planen und zu beachten, genauso wie später in den Bergen. Larcher, Mössmer, Wanner und Habernig geben in ihrem Ratgeber Bergwandern. Sicher unterwegs auf Wegen und Steigen aus der Reihe „Sicher am Berg“ herausgegeben vom Österreichischen Alpenverein wertvolle Infos und Tipps an die Hand, damit das alpine Erlebnis zu einem sicheren und unvergesslichen werden kann.

Los geht’s mit allgemeinen Infos zu „Gesundheit & Risiko“ und wer hätte es gedacht: Wandern ist gesund – und zwar sowohl auf physischer als auch psychischer Ebene, ganz dem norwegischen Motto „Ut på tur aldri sur“ (übersetzt: Gehe raus zum Wandern und du hast niemals Sorgen) entsprechend. Doch die Unfallstatistik zeigt auch, wie wichtig es ist, seinen eigenen Körper richtig einzuschätzen. Stürzen, Stolpern und Ausgleiten sind die häufigsten Unfallursachen und zeugen u.a. von „Mangel an Konzentration, Ermüdung [oder] Überforderung“. Die Herausgeber*innen empfehlen darum u.a. die Belastung zu drosseln und regemäßig (Essens- und Trink-)Pausen einzulegen.

Neben der richtigen Einschätzung des eigenen Körpers ist die Orientierung in den Bergen entscheidend. Larcher et al. erklären, wie man richtig Karten liest, indem sie bspw. Maßstab, Signaturen, Höhenlinien und Steilheit erläutern. Zugleich verweisen sie auch auf die von den Alpenvereinen Südtirol (AVS), Deutschland (DAV) und Österreich (ÖAV) entwickelte App und Tourenportal „alpenvereinaktiv“, dass auch offline genutzt werden kann – eine essenzielle Funktion, um das mitunter netzfreie Abenteuer in den Bergen ohne Orientierungsbauchweh genießen zu können.

Oh weh, Bewölkung zieht auf!

Ebenso überlebenswichtig wie die Orientierung ist das Wetter. Das zeigt auch die Präzision, mit der die Herausgeber*innen dieses Kapitel verfasst haben. Zunächst befassen sie sich mit der Wetterprognose, wobei u.a. der Wetterbericht tabellarisch der Wetter-App gegenübergestellt wird und so zahlreiche Eigenschaften des jeweiligen Prognose-Instruments analysiert werden können. Darüber hinaus geht es in einem zweiten Schritt darum, das Wetter zu verstehen und Aspekte wie Luftfeuchtigkeit, Wind, Sonne und gerade Bewölkung richtig zu deuten – und zwar sowohl bei der Planung als auch auf der Tour.

Dem schließt sich ein Kapitel zur Ausrüstung an, wobei bspw. unterschiedliche Wanderschuh- und Rucksacktypen erklärt werden. Bei der Bekleidung legen die Herausgeber*innen den Fokus auf das sogenannte „Zwiebelschalenprinzip“ und beschreiben die einzelnen Schichten. Dabei spielen weniger optische Funktionen eine Rolle als vielmehr die Materialen, wie synthetische Fasern oder Merinowolle. Wie Larcher et al. anfangs beschreiben, ist die Auswahl heutzutage immens, wobei für jeden Anlass die perfekte Ausrüstung erwerblich ist. Dabei rückt allerdings häufig der Aspekt der Nachhaltigkeit in den Hintergrund. Darum wäre es schön gewesen, wenn die Herausgeber*innen an dieser Stelle darauf verwiesen hätten, dass man sich bei all dem Angebot dennoch die Frage stellen sollte: Was brauche ich wirklich? …um unnötigem Konsum entgegenzuwirken und somit die Natur, in der wir als Bergfreund*innen so gerne unterwegs sind, zu schützen. Zugleich hätte man auch auf die Umweltverträglichkeit der jeweiligen Materialien verweisen können.

Auf die richtige Planung kommt’s an

Im darauffolgenden Kapitel zur Tourenplanung ist bspw. die Übersicht zur unterschiedlichen Beschilderung der Bergwege in Österreich, Deutschland und der Schweiz hinsichtlich ihrer Schwierigkeit sowie der Abschnitt zur Einschätzung der Zeit interessant. Gleichzeitig sind auch die Anmerkungen zum Unterwegssein in einer Gruppe wichtig, wobei der Unterpunkt der „Klare[n] Kommunikation“ hervorgehoben wird. Gerade in der Gruppe – die womöglich ein schwankendes Leistungsniveau besitzt – ist Kommunikation und Rücksicht in den Bergen das A und O.

Nun zur eigentlichen Tour. Neben generellen Tipps etwa zum Tempo werden v.a. drei Aspekte betont: Gehtechnik und Trittsicherheit, Schwarze Wege und alpine Routen sowie regelmäßige Pausen. Dabei zeigt sich der Anspruch dieses Buches: Ein Ratgeber für Bergwandern – mit Betonung auf „Berg“. Präzise werden u.a. Gehtechnik und Haltung erklärt, ein Für und Wider von Wanderstöcken abgeglichen oder Techniken für die alpinen Herausforderungen „Schnee, Firn und Eis“ oder „Feiner Schutt“ und „Blockgelände“ beschrieben. Die erneute Hervorhebung von regelmäßigen Pausen unterstreicht deren Wichtigkeit beim Bergwandern.

Ehe die Kapitel „Notfall“ und „Natur“ den Ratgeber komplettieren, richtet sich eines noch dem Bergwandern mit Kindern, wobei eingangs ein Satz zur Erwartungshaltung der Eltern heraussticht: „Der wichtigste aller Grundsätze für das Gelingen einer Bergwanderung mit der Familie lautet daher: Wir begleiten unsere Kinder in die Berge und nicht sie uns.“ Die Herausgeber*innen betonen dabei, dass es sich beim Bergwandern mit Kindern keineswegs um ein reines Sportprogramm (für die Eltern) handelt, sondern Aspekte wie „Gesundheit“, „Naturbewusstsein“, „Soziale Kompetenzen“ und „Risikobewusstsein“ für Groß und Klein im Vordergrund stehen sollten. Darüber hinaus sollte die Wanderung der Bedürfnisse und bspw. der motorischen Fähigkeiten der Kinder angepasst werden, was für die Planung der Tour entscheidend ist. Gerade dieses Kapitel zeigt, wie vollkommen der Ratgeber durchdacht ist und sodass kein wichtiges Detail zu fehlen scheint.

Mehr Zeit, mehr Sicherheit

Egal, ob erfahren oder Anfänger, Bergwandern. Sicher unterwegs auf Wegen und Steigen ist für jede*n eine herzlich willkommene Lektüre – wenn nicht sogar ein unbedingtes Muss fürs Outdoor-Bücherregal. Die Konzeption des Ratgebers sowie die zahlreichen Beschreibungen zeugen dabei von der Erfahrung der Herausgeber*innen, deren Anliegen – so scheint es – v.a. zwei Dinge sind: Den Freund*innen des Bergsports einmal mehr Lust auf die Natur zu machen, indem sie ihnen durch diverse Tipps und Tricks die Angst davor nehmen, hinaus in die Natur zu gehen oder auch mal eine etwas anspruchsvollere Tour zu wagen sowie die grundsätzliche Haltung für das Erfahren der Natur und die Ausübung des Bergsports, dass die Kraft in der Ruhe liegt. Der springende Punkt für eine sichere Bergwanderung ist neben genügend Zeit für eine ausreichende Planung, sich Zeit für das Beobachten der Umgebung, das Innehalten (um wieder Kraft zu tanken) sowie für sicheres Auftreten zu nehmen, dass eben manchmal besser langsamer als schneller vonstattengeht. Die sehr gute und durch etliche Abbildungen abwechslungsreich gestaltete Grafik unterstreicht die Qualität dieses Ratgebers einmal mehr.

Gerhard Mössmer, Michael Larcher, Thomas Wanner, Magdalena Habernig: Sicher am Berg. Bergwandern * Hg. vom Österreichischen Alpenverein * Tyrolia Verlag 2022, 2. aktualisierte Auflage * 228 Seiten * 29,90 Euro

Diese Rezension wurde am 14. Juni 2022 auf dem Blog des Mondo Kollektivs veröffentlicht.